Der Winter steht vor der Tür und die Heizsaison hat mit Anfang November bei tiefen Temperaturen Fahrt aufgenommen. Dazu mischt sich eine Diskussion über das seit mehr als 20 Jahren bestehende Tarifsystem, weil es erstmals auch bei den Netztarifen zu deutlichen Steigerungen kommen wird. Michael Haselauer, Geschäftsführer der Netz Oberösterreich, traf beim Energiepolitischen Hintergrundgespräch des Forums Versorgungssicherheit am 7. November 2024 zwei Grundaussagen: „Die Versorgung mit Strom und Gas in der jetzt angelaufenen Heizsaison ist gesichert. Und das Tarifsystem hat sich über 20 Jahre bewährt, doch jetzt sind Anpassungen notwendig. Diese sind bereits vorbereitet und müssen nur mehr umgesetzt werden.“
Für die Sprecherin des Forums Versorgungssicherheit, Brigitte Ederer, stellt Verlässlichkeit bei der Energieversorgung, aber auch bei den Energiekosten, eine wesentliche Forderung dar: „Die Menschen in diesem Land brauchen die Gewissheit, dass Strom und Gas zur Verfügung stehen, wenn sie sie brauchen. Und sie haben das Recht, im Fall von Tariferhöhungen zu erfahren, was der Grund dafür ist und was sie im Gegenzug dafür erhalten.“
Wie funktioniert die Finanzierung der Netze?
Bei der Marktliberalisierung vor mehr als 20 Jahren wurde aus volkswirtschaftlicher Sicht entschieden, die Energienetze für Strom und Gas von den Energievertrieben zu trennen. Den Netzbetreibern wurden natürliche Monopole zuerkannt, weil es volkswirtschaftlich keinen Sinn machen würde, z.B. beim Wechsel des Energielieferanten neue Leitungen bauen zu müssen. Die Netze müssen allen Lieferanten offenstehen, dafür können die Entgelte für die Benutzung von den Netzbetreibern nicht nach eigenem Ermessen festgelegt werden.
Für die Höhe der Entgelte („Netztarif“) ist die Regulierungsbehörde e-Control zuständig. Diese ermittelt Jahr für Jahr im sogenannten Kostenermittlungsverfahren, der jährlichen „Betriebsprüfung“ der Netzbetreiber, die angemessenen Kosten. Im Detail werden die Aufwände für den laufenden Betrieb und die getätigten Investitionen geprüft. Erst wenn anerkannt wird, dass sparsam und im Sinne der Konsumenten (=Netzbenutzende) gehandelt worden ist, wird anhand dieser Kosten das Netzbenutzungsentgelt für das Folgejahr festgelegt. Die jetzt in den vergangenen beiden Jahren merkbar gestiegenen Aufwändungen durch die allgemeine Inflation finden sich also auch – mit rund einem Jahr Verzögerung – in den verordneten Entgelten wieder. Die E-Control fasst diese Erkenntnisse zusammen und schlägt dann die Höhe der Entgelte für das Folgejahr vor. Diese werden dann von der durch die Bundesregierung eingesetzte Regulierungskommission geprüft und verordnet.
„Jeder Netzbetreiber ist außerdem zur größtmöglichen Effizienz angehalten, denn die ermittelten Aufwände werden mit jenen der anderen Netzbetreiber in ein Vergleichssystem eingebracht, in dem nur der effizienteste Netzbetreiber 100% der Kosten refundiert bekommt“, erklärt Haselauer. „Wer nicht ausreichend effizient ist, muss mit prozentuellen Abschlägen rechnen.“ Aktuell stellen aber die Effizienzkriterien ausschließlich auf Abgabemengen und Netzkenngrößen ab, Netzinvestitionen zur Erhöhung der Einspeisekapazitäten sind noch nicht entsprechend berücksichtigt. Um auch zukünftig Anreize für Netzbetreiber zu geben, noch besser und noch effizienter zu werden, müssen im Regulierungsmodell der „Anreizregulierung“ Weiterentwicklungen vorgenommen werden.
Das aktuelle Regulierungsmodell ist seit der Marktliberalisierung vor mehr als 20 Jahren im Wesentlichen gleich geblieben: Die Kosten für die Energienetze werden auf die verschiedenen Netzebenen verteilt und dort auf die verbrauchten Kilowattstunden aufgeteilt. In diesem Modell sind die Rahmenbedingungen, die sich in den vergangenen Jahren durch den massiven Ausbau der dezentralen Erzeugungsanlagen (vorwiegend Photovoltaik) grundlegend geändert haben (und noch weiter verändern werden), aber nicht berücksichtigt.
Die Netzbetreiber haben bereits vor Jahren auf diese kommende Veränderung hingewiesen und Alternativen vorgeschlagen, mit denen der Leistungskomponente mehr Gewicht zugemessen wird. Diese leistungsabhängigen Netztarife ermöglichen dann eine faire Aufteilung der Kosten des Ausbaus. Nicht nur die verbrauchte Strommenge, sondern auch die beanspruchte (Spitzen-)Leistung sollen im Netztarif berücksichtigt werden. Weiters sollte das Tarifsystem Anreize für Eigenproduktion und Eigenverbrauch liefern. Wenn die zahlreichen Betreiber von privaten PV-Anlagen und „Balkonkraftwerken“ ihren Strom selbst verbrauchen und den Rest speichern, statt alles ins Netz einzuspeisen, würde das die Netze entlasten.
Experten sind überzeugt, dass sich das Energiesystem in diese Richtung weiterentwickeln wird – mit noch mehr Windenergie, noch mehr Photovoltaik und noch mehr Batteriespeichern in den eigenen vier Wänden oder in Energiegemeinschaften. Haselauer: „Im Sinne der Allgemeinheit muss aber sichergestellt sein, dass alle, die das Netz benutzen, auch einen Beitrag zu Ausbau und Erhalt der Netze leisten. Aktuell finanzieren diejenigen, die nicht in eine eigenen PV-Anlage investieren können, das Netz für die, die sich selbst versorgen können. Es braucht dringend eine sozial gerechte Anpassung des Systems, damit das Netz auch in Zukunft für alle leistbar bleibt.“
Status Gasversorgung: Volle Speicher, leere Leitung?
Nachdem sich die Versorgungssituation mit Erdgas aus der Russischen Föderation seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine mehrfach verändert hat, wurden in Westeuropa zunehmend Maßnahmen zur Diversifizierung der Lieferketten unternommen. Nach wie vor ist Österreich aber zu einem großen Teil von der Versorgung mit russischem Erdgas abhängig. Eine der Gegenmaßnahmen war die Bildung einer strategischen Gas-Reserve in den heimischen Gasspeichern und die direkte Anbindung eines Großspeichers an das oberösterreichische Gasnetz.
Ende des Jahres droht allerdings die Pipeline-Verbindung von Russland durch die Ukraine nach Westeuropa auszufallen. Die Pipeline-Verträge der russischen Gazprom mit den ukrainischen Betreibern laufen aus und aus heutiger Sicht ist anzunehmen, dass es angesichts der kriegerischen Auseinandersetzung keine Erneuerung zwischen den bisherigen Vertragspartnern mehr geben wird.
Haselauer: „Österreich hat hier Maßnahmen getroffen, dass wir auf jeden Fall im Winter keine Einschränkungen und keine Gefährdung der Versorgung haben werden.“ Vor allem die vollen Speicher, zusätzliche Leitungskapazitäten in den bayrischen Raum aber auch der durch eine abgeschwächte Wirtschaft gesunkene Inlandsverbrauch wirken hier entspannend.
Status Stromversorgung: Keine Angst vor dem Winter
Die Versorgung mit elektrischer Energie ist wie in den Vorjahren sichergestellt. Über Jahrzehnte wurde die Infrastruktur sowohl auf der Erzeugungsseite als auch auf der Seite des Stromtransportes entsprechend leistungsfähig auf- und ausgebaut. Abhängig ist die Versorgung trotzdem vom Dargebot und dem Bedarf.
Die Erzeugung von Strom aus Wind, Wasser und Sonne wird im Winter regelmäßig durch Import von Energie und Energie aus thermischen Kraftwerken unterstützt. Hier wäre es sinnvoll z.B. die volle Leistungsfähigkeit der installierten PV-Anlagen nutzen zu können. Sprich: Leistungsbegrenzungen, die im Sommer für einen stabilen Netzbetrieb erforderlich sind, wären im Winterhalbjahr durch niedrigeren Sonnenstand und geringere -intensität in der Regel nicht notwendig. „Es wäre sinnvoll, wenn wir im Winter den Netzzugang von PV-Anlagen anders handhaben könnten – im Winterhalbjahr haben die Stromnetze mit der vollen PV-Leistung eigentlich kein Problem“, sagt Haselauer. Es fehle allerdings der rechtliche Rahmen, diese Maßnahmen auch tatsächlich umzusetzen und im Sinne einer sauberen Energiezukunft mit größtmöglicher Unabhängigkeit nutzen zu können. Ebenfalls anzudenken wäre eine rot-weiß-rote Speicherstrategie, um große, kleine und Heimspeicher entsprechend umzusetzen. Trotz der Notwendigkeiten bei der Anpassung im System der Netzentgelte rät Haselauer: „Bei der eigenen PV-Anlage Sollte man den eigenen Batteriespeicher immer mitdenken!“
Für den Umbau des (Raum-)Wärmesystems von fossilen Energieträgern (Öl, Gas) hin zu elektrisch betriebenen Heizungen (in der Regel sind das Wärmepumpen), gibt es Notwendigkeiten, die Netze punktuell weiter auszubauen. Mit diesen Maßnahmen sollte der umfassende Wechsel hin zu Wärmepumpen für die Stromnetze bewältigbar sein bzw. werden: Denn moderne Wärmepumpen haben in der Regel kaum Leistungsspitzen und verbrauchen gleichmäßig über längere Zeiträume Energie. Haselauer: „Im Stromnetz sind vor allem Gleichzeitigkeiten von Leistungsspitzen problematisch.“