Für die Energiewende müssen die Verteilernetze ausgebaut und technologisch aufgerüstet werden. Doch die Netze könnten schon heute deutlich mehr Sonnen- und Windstrom aufnehmen, wenn sie die Möglichkeit erhalten, auftretende Leistungsspitzen flexibler zu managen. „Es ist dringend notwendig, die Möglichkeit zur dynamischen Leistungsregelung gesetzlich zu verankern“, forderte der Geschäftsführer von Netz Niederösterreich, Werner Hengst, beim Energiepolitischen Hintergrundgespräch des Forums Versorgungssicherheit am Donnerstag, 15. Juni. „Denn dadurch können 30 % mehr Anlagen ans bestehende Netz angeschlossen werden und die Erzeugung für den Eigenbedarf ist weiterhin uneingeschränkt möglich.“
Derzeit können in den jeweiligen Versorgungsgebieten immer nur so viele Wind- und PV-Anlagen ans Netz gehen, dass auch die Aufnahme der maximalen Leistungsspitzen garantiert ist. Diese Kapazität wird aber nur höchst selten wirklich gebraucht und steht sonst leer, wie die Sprecherin des Forums Versorgungssicherheit Brigitte Ederer ausführte: „Das ist so, als würde man auf einer achtspurigen Autobahn immer vier Spuren freihalten, weil es einmal im Jahr am Pfingstwochenende zu einem Stau kommen könnte.“
Neue Aufgaben für die Verteilernetze
Im Zuge der Energiewende sind die Aufgaben für die Verteilernetze massiv angewachsen, so Hengst. Im alten Stromsystem wurde die Energie in einer vergleichsweise geringen Zahl von Großkraftwerken produziert, die Erzeugung konnte jederzeit an den Verbrauch angepasst werden. Aufgabe der Mittel- und Niederspannungsnetze (Netzebene 6 und 7) war im Wesentlichen die Versorgung von Haushalten und Gewerbeanlagen. Im künftigen dekarbonisierten Stromsystem müssen auch zahlreiche dezentrale PV-Anlagen in den Mittel- und Niederspannungsnetzen aufgenommen werden. Immer öfter wird auch die Trennung zwischen Erzeugern und Verbrauchern aufgehoben, die Verteilernetze werden zum Strombezug ebenso genutzt wie für die Lieferung von Strom.
Vor allem aber sind die neuen nachhaltigen Energiequellen nicht regulierbar, die Produktion kann nicht dem jeweils aktuellen Verbrauch angepasst werden und ist zudem starken Schwankungen unterworfen. „Um diese Schwankungen auszugleichen, sind unbedingt Speicher im Mittel- und Niederspannungsnetz erforderlich“, erläutert Hengst, „damit könnten lokale Tagesspitzen abgefangen und in die Nacht verschoben werden, wo die PV-Anlagen nicht produzieren können.“
Netzgesteuerte Speicher
Die Möglichkeit, Speicher zu betreiben, ist derzeit für Netzbetreiber nicht vorgesehen, bedauert Hengst: „Wir brauchen hier eine Gesetzesänderung, die es den Netzbetreibern ermöglicht, Speicher ausschließlich für den Zweck der Netzstabilität und der Netz-Effizienz einzusetzen“. Wenn die Umstellung des gesamten Strombedarfs auf erneuerbare Quellen im Jahr 2030 abgeschlossen ist, wird Österreich zudem saisonale Speicher brauchen, so Hengst: „Im Sommer ist typischerweise die Produktion höher als der Verbrauch, während im Winter der Bedarf nicht aus der aktuellen Erzeugung gedeckt werden kann.“ Für die längerfristige Speicherung von großen Strommengen bietet sich Wasserstoff als Medium an – entsprechende Konzepte sind aber erst noch in Erprobung. Hengst: „Für Wasserstoff und andere erneuerbare Gase fehlen derzeit noch die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Wir appellieren an die Bundesregierung, das Erneuerbare-Gas-Gesetz rasch fertigzustellen und zu verabschieden. Erst dann haben die Unternehmen die nötige Rechtssicherheit für die anstehenden großen Investitionen.“
Dynamische Leistungsregelung
Für die Verteilernetzbetreiber fordert Hengst eine gesetzliche Regelung, die es erlaubt, die Einspeisung von PV-Energie bei Bedarf auf bis zu 70 Prozent der Maximalleistung zu begrenzen. Mit einer solchen dynamischen Leistungsregelung würde die gelieferte Strommenge der Produzenten nur unwesentlich eingeschränkt werden, wie Hengst vorrechnet: „Die Energiemenge, die zwischen 70 und 100 Prozent der Anlagen-Leistung produziert werden, machen höchstens 5 Prozent der jährlichen Gesamtmenge aus. Dadurch könnten die Netzbetreiber um 45 Prozent mehr Energie aus Sonnenkraftwerken zulassen.“
Mit der dynamischen Leistungsregelung können somit die Netze wesentlich effizienter genutzt werden, ohne dass für die Produzenten nennenswerte Nachteile entstehen. Für die Betreiber von PV-Anlagen würden durch die dynamische Leistungsregelung keine Zusätzlichen Aufwendungen entstehen, die Leistungsregelung ist mit bestehenden Wechselrichtern problemlos durchführbar.
Insgesamt können die Kosten für einen weiteren Netzausbau deutlich gesenkt werden, was auch dem Anstieg der Netztarife entgegenwirken würde.