Mindestens 30 Prozent aller Autos sollen 2030 mit Strom fahren – so lautet die Empfehlung der EU im Rahmen der europäischen Klimaschutz-Strategie. Für Österreich würde das bedeuten, dass 1,6 Millionen elektrisch betriebene PKW auf den Straßen unterwegs sein werden und regelmäßig aufgeladen werden müssen. Sollten diese Fahrzeuge alle gleichzeitig abends ans Netz gehen, würden die Verteilernetze mit 3,3 Gigawatt zusätzlich belastet, das ist fast ein Drittel mehr als die derzeitige maximale Last von 10,8 Gigawatt. Müssen also die Stromnetze in wenigen Jahren massiv ausgebaut werden?
Nein, so eine überdimensionale und volkswirtschaftlich teure Investition lässt sich vermeiden, wenn das Laden der E-Mobile intelligent gesteuert wird. Das betonten die Sprecherin des Forums Versorgungssicherheit, Brigitte Ederer sowie der Geschäftsführer von Linz Netz, Johannes Zimmerberger, beim Energiepolitischen Hintergrundgespräch des Forums Versorgungssicherheit am Donnerstag, 4. Februar 2021.
Die Netzbetreiber setzen sich für sogenanntes „intelligentes Laden“ ein, bei dem die Fahrzeuge bedarfsgerecht mit möglichst niedriger Leistung aufgetankt werden, um die Netze zu schonen.
„Viele Autofahrer denken, ein E-Mobil müsste möglichst schnell aufgeladen werden können, so wie sie das beim Benzinmotor gewohnt sind. Das ist aber in der Praxis gar nicht immer nötig“, sagt Brigitte Ederer. Tatsächlich zeigt die Statistik, dass die durchschnittliche Fahrleistung eines PKW pro Tag bei 38 Kilometer liegt. Ein typisches E-Mobil verbraucht rund 15 Kilowattstunden Energie pro 100 Kilometer Fahrt. Das bedeutet, dass ein solches Fahrzeug nach der Rückkehr in die Garage mit einer normalen Haushaltsleistung von 3,6 Kilowatt in 1,5 Stunden aufgeladen wäre. Schnellladeboxen mit 11 Kilowatt oder gar 22 Kilowatt Leistung werden somit im Alltag nur selten gebraucht.
Linz-Netz-Geschäftsführer Johannes Zimmerberger legt diese Zahlen auf die Praxis um: „Ein durchschnittlicher Pendler hat nach dem Heimkommen immer noch genug Strom in der Batterie, um noch einmal wegzufahren, etwa zum Einkaufen oder um abends auszugehen. Es gibt gar keinen Grund, jedes Mal sofort das Ladekabel zu zücken, wann das Auto gerade nicht benützt wird.“
Projekt Urcharge
Linz Netz hat im Rahmen des Forschungsprojekts Urcharge (Urbanes Laden) praktische Erfahrungen mit dem realen Nutzerverhalten gesammelt. Das Projekt wurde von der LINZ AG, der Muttergesellschaft von Linz Netz, initiiert und wird von der TU Wien geleitet. Dabei haben sich 50 Testpersonen aus einer Linzer Wohnanlage bereit erklärt, fünf Monate lang auf ein E-Auto umzusteigen. Diese Phase lief bis November 2020, das Projekt selbst wird noch bis Mitte des Jahres 2021 weitergeführt. Es wird vom klima + energiefonds gefördert.
Eine Erkenntnis aus dem Projekt ist, dass die Konsumenten zwar großen Wert darauf legen, eine Möglichkeit zum Schnellladen vorzufinden, diese Funktion aber selten nutzen. Die Ladeinfrastruktur im Projekt Urcharge sah dank der intelligenten Ladelösung auch die Möglichkeit vor, aktiv in den Ladevorgang einzugreifen und die Leistung abzusenken, wenn eine allzu hohe Spitzenbelastung auftritt. Diese Absenkung verlängert die Ladezeiten. Von den Konsumenten wurden solche Eingriffe nahezu nie bemerkt, sie stellten also keinen Komfortverlust dar.
Wachsende Vertrautheit im täglichen Umgang mit dem E-Mobil führte nach und nach zu verändertem Konsumentenverhalten, berichtet Zimmerberger: „Die Leute haben erkannt, dass man auch mit halbvoller Batterie fahren kann. Man lädt ja auch das Handy nicht immer sofort wieder auf, wenn man es gerade nicht benutzt, sondern entwickelt mit der Zeit ein Gefühl dafür, ob der Batteriestand noch hält, bis man wieder im Büro oder daheim ist.“
Leistungstarif und gesteuertes Laden
Das Projekt Urcharge, so Zimmerberger, zeigt im Praxistest, dass es möglich ist, die zusätzliche Leistung für das Laden von E-Mobilen ohne einen übermäßigen Netzausbau zu erbringen, wenn die Grundsätze des intelligenten Ladens verwirklicht werden.
Deshalb fordern die Netzbetreiber eine neue Tarifstruktur für den Strompreis, bei dem die Leistung im Vergleich zum Verbrauch stärker ins Gewicht fällt. Zimmerberger: „Wer mit hoher Leistung lädt und daher das Netz stärker belastet, soll dafür mehr zahlen. Umgekehrt soll jemand Kostenvorteile haben, wenn er längere Ladezeiten in Kauf nimmt.“
Die zweite Forderung lautet: Die Netzbetreiber sollen per Gesetz die Möglichkeit erhalten, steuernd einzugreifen. Sie sollen also die Leistung absenken können, wenn das erforderlich ist. Konsumenten sollen die Möglichkeit haben, so eine Leistungsabsenkung auszuschließen – müssen dann aber ebenfalls einen höheren Tarif zahlen.
Zimmerberger: „Wir halten unseren Vorschlag für verursachergerecht und wissen jetzt aus den Erfahrungen mit Urcharge, dass er auch praxistauglich ist. E-Mobilität wird nur funktionieren, wenn man die Bedürfnisse der Nutzer berücksichtigt.“
Weiterführende Infos zum Projekt Urcharge: www.linzag.at/urcharge
Projektpartner: TU Wien, LINZ AG, KEBA AG, NEUE HEIMAT OÖ, ETA Umweltmanagement GmbH,
Autohaus Sonnleitner
Dieses Projekt wird aus Mitteln des Klima- und Energiefonds gefördert und im Rahmen des Programms „Zero Emission Mobility“ durchgeführt.